Literaturtaler 2016

Laudatio zur Verleihung des LiteraturTalers 2016 an das Düsseldorfer Kulturzentrum „zakk“

Von Michael Serrer

Meine Damen und Herren,

ich darf Ihnen zwei Nachrichten mitteilen, eine sehr gute und eine schlechte.

Die sehr gute Nachricht lautet: Der LiteraturRat NRW verleiht dem zakk für seine Bereicherung des literarischen Lebens in Nordrhein-Westfalen den Literaturtaler 2016.

Die schlechte Nachricht: Zur Erläuterung werde ich etwas länger brauchen als die bei Slam-Auftritten üblichen sechs Minuten.

Was ist denn dieser LiteraturTaler? Und wer ist der LiteraturRat NRW, der ihn verleiht? (Wobei Verleihen missverständlich ist – das zakk darf den LiteraturTaler 2016 natürlich behalten.) Der LiteraturRat ist der Zusammenschluss der wichtigsten literarischen Einrichtungen und Initiativen im bevölkerungsreichsten Bundesland Deutschlands. Ihm gehören die Literaturbüros und Literaturhäuser an, der Schriftstellerverband und der Börsenverein, zahlreiche literarische Museen und literarische Vereine wie z.B. die Heine-Gesellschaft. Gegründet wurde er vor 30 Jahren.

Nach einer längeren Pause zeichnet der LiteraturRat seit 2014 wieder jedes Jahr Personen oder Einrichtungen aus, die sich um das literarische Leben in Nordrhein-Westfalen Verdienste erworben haben. Diese Auszeichnung, Sie ahnen es, ist der erwähnte Literaturtaler. Ihn hat in früheren Jahren zum Beispiel die Literaturzeitschrift „Schreibheft“ erhalten wie auch der Gründer des ersten deutschen Literaturbüros, Rolfrafael Schröer; ausgezeichnet wurden u.a.  Walter Gödden, der Chef der Westfälischen Literaturkommission, wie auch das europaweit größte Krimifestival „Mord am Hellweg“.

In diesem Jahr hat der Vorstand des LiteraturRates NRW einstimmig beschlossen,  das zakk auszuzeichnen für seine Verdienste um das  literarische Leben, vor allem um den deutschsprachigen Poetry Slam.

Die meisten der Anwesenden werden all das, was ich jetzt sage, wissen, aber es gibt sicher doch den einen oder anderen, der nicht alle Details im Kopf hat.

Also, was ist eigentlich dieser Poetry Slam? Es gab, was vielleicht manche verwundern wird, einmal eine Zeit ohne dieses Kulturformat. Die ersten Poetry Slams wurden 1986 in Chicago durchgeführt (also im selben Jahr, in dem der LiteraturRat gegründet wurde). Der Erfinder, Marc-Kelly Smith, wollte, dass das Publikum stärker einbezogen wird, als das bis dahin in Dichterlesungen der Fall war. Er belebte also das alte Konzept des Dichterwettstreites neu. Die Zuhörer sollten sich durch Zwischenrufe einbringen, und sie sollten abstimmen über das, was sie gehört hatten. Dass aus diesen Anfängen eine internationale Bewegung wurde, dürfte der Erfinder 1986 kaum erwartet haben.

In Deutschland wird der erste Poetry Slam 1994 verzeichnet, er fand in Berlin statt. Bereits ein Jahr später fand der erste Düsseldorfer Slam statt, 1997 brachte André-Michael Bolten ihn hierhin  ins zakk. Bei den Lesungsabenden, die zunächst unter dem Titel „Maultrommel“ stattfanden, sorgte er dafür, dass sich alle an die Regeln hielten. Dazu trug auch sein ungewöhnliches Outfit bei: Er trug einen schwarzen Hut und eine schwarze Brille  und schlug zu Beginn und am Ende des jeweiligen Auftritts einen Gong. Wer dennoch das Zeitlimit überschritt, wurde von Bolten, dem der Beinamen „der Scherge“ verliehen wurde, mit Grabesstimme an seine Pflichten erinnert.  Diese Pflichten, die Regeln des internationalen Poetry Slams, waren einfach und  sie sind bis heute unverändert gültig, die Moderatoren haben, wie das bei jeden Slam üblich ist, heute abend bereits erläutert.

Schon wenige Monate nach dem ersten Poetry Slam im zakk fuhr ein Düsseldorfer Team zur ersten Deutschsprachigen Meisterschaft, zum National Poetry Slam nach Berlin.  Das Team, zu dem u.a. Robby Göllmann und Wehwalt Koslovsky gehörten, wurde fünfter. Das klingt nicht schlecht; allerdings hatten auch nur fünf Teams teilgenommen. In späteren Jahren sollte sich das Abschneiden dann bessern.

Zwei  Jahre später, bei der Meisterschaft in Weimar, der damaligen Kulturhauptstadt Europas, belegte ein Düsseldorfer Team (u.a. mit Pamela Granderath und dem sog. Gegenpapst) den zweiten Platz.

Ein weiteres Jahr später, 2000, fand der National Poetry Slam dann in Düsseldorf statt, im zakk, mit mehr als 140 Slammern, acht Wettbewerben und über tausend Zuschauern. Zu den zahlreichen Berichterstattern über dieses Ereignis gehört Heine-Preis-Träger Robert Gernhardt. Im Einzelwettbewerb siegte übrigens Jan Off, der eigentlich seine Karriere in Düsseldorf beenden wollte, weil er den „Kleinkunstkarneval der Germanisten“ nicht mehr mochte und auch nicht die Publikumsjurys, die er als „Karaseks für Arme“ bezeichnete. Publikumsbeschimpfung kommt oft gut an, und als Sieger war er verpflichtet, im Folgejahr erneut antreten.

Seit 2001, seit 15 Jahren also, moderieren die erwähnte Pamela Granderath (Trägerin des Förderpreises für Literatur der Landeshauptstadt Düsseldorf) und der Dichter Markim Pause den Poetry Slam im zakk mit dem Titel „Poesieschlachtpunktacht“.  2003 kam, mitorganisiert von der Zeitschrift „Libelle“, ein Kinderslam hinzu, der passenderweise „Poesieschlacht ab acht“ heißt. 2006 wurde die Lücke zwischen den beiden Formaten geschlossen, für die 14- bis 20jährigen führte das zakk den „Zwischenruf“ ein.

Der ursprüngliche Slam, die „Poesieschlachtpunktacht“, fand immer mehr Liebhaber, man traute sich, unter freiem Himmel im Hofgarten aufzutreten und erreichte über 300 Besucher. Im zakk selbst musste man umziehen, vom Club mit 150 Sitzplätzen in die Halle mit 250. Keiner sollte mehr stehen müssen.

Wie im Fußball oder in der Rockmusik sehen Puristen so etwas grundsätzlich skeptisch: Wer sitzen darf, verliert  seinen Elan, wird zu bequem. Publikum wie Akteure wären nicht mehr länger subversiv, sondern, da subventioniert, bald subaltern.  In der Slam-Szene, der Slamily, wird darüber diskutiert, ob nicht an die Stelle der angeblich ursprünglich vorhandenen ungefilterten Wut eine besser kommerzialisierbare Gefälligkeit getreten sei. Nun wird diese Debatte in jeder Kunstrichtung nach kurzer Zeit geführt. Ich kann hier keinen eigenen Beitrag dazu leisten, möchte aber doch drei Dinge betonen :

1.Die Lebendigkeit der Poetry Slams ist ein Gewinn für die Kulturlandschaft.  2. Die Distanz zwischen Bühne und Publikum wurde deutlich abgebaut, viele, vor allem junge, Menschen trauen sich heute deutlich eher als früher, mit eigenen Texten aufzutreten. 3. Dass das Wissen, wie man Texte schreiben und wie man sie vortragen kann, in schulischen wie außerschulischen Workshops verbreitet wird, das kann ich nicht bedenklich finden. Das zakk hat erfreulicherweise immer wieder bei solchen Projekten, etwa dem „Kulturrucksack“, teilgenommen, mit sehr positiven Folgen für die kulturelle Bildung.

Setzen wir unseren historischen Spaziergang, aber mit schnelleren Schritten, fort: 2009 richtete das zakk erneut die Deutschsprachigen Meisterschaften aus, mit fast 10.000 Besuchern.

2013, also 16 Jahre nach dem betrüblichen letzten Platz beim ersten National Slam, gewann ein Düsseldorfer Slammer, Jan Philipp Zymny, den ersten Platz bei den Deutschen Meisterschaften. Eine schöne Erfolgsgeschichte also!

Und nicht nur für Zymny, denn: Ausgehend von Düsseldorf und der erfolgreichen Arbeit des zakk verbreitete sich seit 1997 zunächst im regionalen, dann im bundeslandweiten Umfeld das Poetry-Slam-Fieber, heute ist dieses Format in jeder Großstadt fester Bestandteil des kulturellen Lebens. Die Angst, die mancher zu Beginn hatte, nämlich dass dieses Fieber eine Krankheit zum Tode sei, dass alle Jüngeren nur noch das Selbe scheiben und das Gleiche vortragen, war stark übertrieben. Auf Slam-Bühnen finden sich heute keineswegs stilistische Einheitstöne, man findet Kurzprosa genauso wie essayistische Streitreden, klassische Lyrik wie Rap und Mischformen aus all dem.

Es ist wie bei jeder Epidemie: Es fängt mit einem kleinen Herd an – hier also mit André Bolten und Frank Müller. Und dann verbreitet es sich. Aber nicht von selbst – dazu müssen viele Menschen beitragen, sie müssen dafür sorgen, dass der  Virus Poetry Slam kräftig, widerstandsfähig und ansteckend wird. Zu diesen Menschen gehören vor allem die, die hier im zakk gearbeitet haben und arbeiten.

In den ersten Jahren war Annette Loers hier für den Bereich Wort verantwortlich, seit 2006 ist es Christine Brinkmann, die (neben den vielen anderen literarischen Aktivitäten wie Schreibwerkstätten, Poesieautomaten und Autorenlesungen) für die Stärkung des Poetry-Slam-Virus zuständig ist.  Und natürlich mussten die Geschäftsführer des zakk, zunächst Reinhard Knopp, dann Jochen Molck, nach Kräften dafür sorgen, dass das finanzielle und organisatorische Umfeld stimmte.

Nun, es hat gestimmt, es stimmt weiterhin; und so lässt sich beobachten, wie die Poetry-Slam-Welle weiterrollt. Nicht nur Düsseldorf wurde von ihr erfasst und ist längst die Stadt mit den meisten regelmäßigen Poetry Slams, nein, ganz NRW, mit 18 Millionen Einwohnern das bevölkerungsreichste Bundesland, hat eine lebendige Slam-Landschaft. Und die deutsche Slam-Szene, so sagen die Experten, denen wir heute Abend vollständig trauen wollen, die deutsche Slam-Szene ist die zweitgrößte der Welt.

Daher hat der LiteraturRat NRW beschlossen, diejenigen, die entscheidend dazu beigetragen haben, dass viele Menschen mit dem Poetry-Slam-Virus angesteckt wurden, auszuzeichnen – mit dem LiteraturTaler 2016. Herzlichen Glückwunsch, liebes zakk!